Plötzlich pflegende Angehörige
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Mit 23 Jahren bin ich aus der kalten Hose heraus zur pflegenden Angehörigen geworden. Ehrlicherweise hatte ich vorher nur wenig Bezug zum Thema „Pflege“ und eher sogar Berührungsängste. Ich habe es auch für total unrealistisch gehalten, dass ich so früh diese Rolle einnehmen werde.
Nachdem meiner Mutter 2018 ein Hirnaneurysma platzte und im Koma noch vier Schlaganfälle folgten, war aber nichts mehr, wie es vorher war. Neben der Trauer über die neue Lebensrealität, war da ein riesiger Berg aus Verantwortung, Bürokratie, Organisation und Erwartungshaltungen, der sich vor mir auftürmte. Dieser Berg grenzte mich von der Außenwelt ab und ich fühlte mich furchtbar einsam. Die Leichtigkeit meiner Zwanziger war plötzlich weg. Mein Alltag bestand aus Arbeit und Pflege. Zeit für Freunde, den Partner und für mich selbst gab es nur sehr selten. Das hat mich und meine zwischenmenschlichen Beziehungen an die Grenzen gebracht.
Ich bin immer noch ich: Warum es wichtig ist, sich selbst nicht zu vergessen
Doch inzwischen habe ich gelernt, dass ich nur dann eine gute Unterstützung sein kann, wenn ich selbst nicht untergehe. Ich habe gelernt, dass ich eine weitere Rolle habe. Ich pflege zwar, aber ich bin auch noch ich. Ich darf mir meine Träume erfüllen und mir ein eigenes Leben aufbauen. Und ja, ich darf ein Haus bauen, ohne dass meine pflegebedürftige Mutter bei mir einzieht – auch wenn es viele Menschen anders von mir erwarten.
Von Steinen, die beiseite geräumt werden müssen
Ich habe aber auch gelernt, dass die Wahrnehmung dieser beiden Rollen nicht so einfach ist und man wirklich viele Steine beiseite räumen muss. Meine Mutter hat Pflegegrad 5 und benötigt dementsprechend eine intensive und kostspielige Pflege. Weil es kaum Alternativen bzw. Angebote für pflegebedürftige Personen in ihrem Alter gibt, wird sie zuhause gepflegt. Die finanziellen Leistungen der Pflegekasse decken jedoch nicht ansatzweise den tatsächlichen Bedarf. Hinzu kommen bürokratische Hürden, die eine individuelle Verwendung der Leistungen unmöglich machen. Das muss sich aber dringend ändern, denn nichts ist individueller als die eigene Pflegesituation!
Die Politik aber auch die Gesellschaft müssen verstehen, was wir pflegenden An- und Zugehörigen für das Pflegesystem leisten. Denn wir sind es, die alles am Laufen halten und daher wünsche ich mir mehr Entlastung, Unterstützung und Sichtbarkeit. Pflege muss nicht nur nervenaufreibend und ermüdend sein.
Du bist nicht allein – Vernetze dich mit anderen jungen Pflegenden
Wenn du dich in meiner Geschichte wiedererkennst, möchte ich dir sagen: Du bist nicht allein. Es gibt viele junge Menschen, die ähnliche Herausforderungen meistern müssen. Der Austausch mit anderen, die verstehen, was du durchmachst, kann unglaublich hilfreich sein.
Gemeinsam mit Josy, die ihren Vater pflegt, habe ich die digitale Austauschrunde „Young Adult Carers Connect“ gestartet. An jedem ersten Mittwoch im Monat von 19:00 bis 20:00 Uhr treffen wir uns mit anderen jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 35 Jahren, um uns auszutauschen. Bei den Treffen können wir offen reden, Fragen stellen und uns gegenseitig unterstützen. Egal, ob du Infos zu Anträgen brauchst, Tipps für den Alltag suchst oder einfach nur jemanden zum Zuhören – wir sind für dich da.
Wir wissen, wie schwer dieser Weg sein kann. Aber wir wissen auch, dass es leichter wird, wenn man ihn nicht allein geht.
Schreib uns eine E-Mail an yacconnect(at)wir-pflegen.net und sei dabei!
Ich freue mich auf dich!
Alles Liebe
Kim
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