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Erfahrungsberichte

Behinderte Menschen und ihre pflegenden Familien werden nicht als vielfältiger Teil unserer Gesellschaft gesehen


28. März 2022

Christel Kreß, alleinerziehend mit 2 Kindern (geb. 2000 und 2004), ausgebildete Pflegefachkraft mit langjähriger Berufserfahrung und Dipl.Sozialpädagogin (FH) mit Zusatzausbildung Sexualtherapie, seit 2005 als alleinerziehende 24-h-pflegende Mutter in Hartz 4.

Meine Tochter Emma wurde im August 2004 ohne jegliche Komplikationen als 2. Kind geboren, erst 9 Monate später wurde ein schwerwiegender Gendefekt mit nicht absehbaren Ausprägungen diagnostiziert ... kurz zusammengefasst als schwere Mehrfachbehinderung.

Emma kann sich nur durch Mimik und Lautieren ausdrücken, kann nicht stehen und sitzen und nur durch pürierte Kost ernährt werden. Sie ist durch ihre massive Spastik stark eingeschränkt, was auch zu weiteren Folgeerkrankungen führte. Innerhalb der letzten 17 Jahre bestimmten zahlreiche Klinikaufenthalte und Operationen Emmas Leben. Mittlerweile ist sie mit einer PEG (zur Flüssigkeitszuführung) und einem VP-Shunt (zur Ableitung des überschüssigen Gehirnwassers) versorgt; dies setzt eine fachkompetente Beobachtung und Handhabung voraus.

Emma konnte 2006 - 2010 mit vielen Unterbrechungen durch Klinikaufenthalte den Schulkindergarten Sonnenblume (8.30 – 13.30 Uhr) in Stuttgart- Vaihingen besuchen. Seit 2010 ist sie Schülerin der teilinklusiven Torwiesenschule Stuttgart (Diakonie Stetten), hier werden Schülerinnen mit und ohne Behinderung gemeinsam beschult. Die TWS verkürzte im Laufe der Jahre die Unterrichtszeiten, so dass nunmehr lediglich an einem Schultag pro Woche Nachmittagsunterricht stattfindet – für die übrigen Nachmittage kann eine selber zu finanzierende Betreuung innerhalb der Schule durch die Offenen Hilfen (Diakonie Stuttgart) dazugebucht werden. Für Schülerinnen wie Emma mit hohem medizinisch-pflegerischen Assistenz Bedarf, die der fachkompetenten Beobachtung und Überwachung bedürfen, ist dies keine umsetzbare Option.

Da Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege nicht zur Finanzierung einer angemessenen Betreuung ausreichen, erkämpfte ich für Emma zusätzliche Leistungen des Persönlichen Budgets – damit kann ich eine bedarfsgerechte Betreuung zur stundenweisen Entlastung finanzieren, soweit ich geeignete Betreuungsfachkräfte finde...

Gelebte Unterstützung und Hilfe für die ganze Familie erhielten wir durch das Kinderhospiz St. Nikolaus im Allgäu und seit 2018 auch durch das Kinderhospiz Stuttgart – allerdings wird mir während dieser Entlastungspflegezeit das Pflegegeld PG5 ersatzlos gestrichen.

Alle aufgeführten Entlastungsmöglichkeiten sind rudimentär vorhanden und greifen nur dann, wenn man als pflegende Mutter immer 200% leistungs – und durchsetzungsfähig ist; sämtliche Anfragen nach Unterstützung des Geschwisterkindes in Akutsituationen (Klinikaufenthalte, Not-OPs) durch verankerte Hilfen des Jugendamts Stuttgarts wurden abgelehnt.

Dass ich mich als alleinerziehende 24-h- pflegende Mutter nicht nur mit Kranken – und Pflegekasse, Hilfsmittelversorgung, Klinik und ÄrztInnen etc.  auseinandersetzen muss, sondern dass auch kontinuierliche Konflikte mit dem Jobcenter seit Jahren meine Kräfte beanspruchen, ist schlichtweg skandalös. Der Hartz4- Bezug betrifft die ganze Familie, d.h. dass mein Sohn den Verdienst aus Ferienjobs nicht behalten darf, weil dies als zufließendes Einkommen gewertet wird – dass das Kindergeld und der Kindesunterhalt als eigenes Einkommen auf die Regelleistung des Kindes angerechnet wird – und wenn Emma 18 wird und damit die Grundsicherung bezieht, wird auch diese Sozialleistung auf meinen Regelbedarf angerechnet. Ich könnte die direkten Auswirkungen von Hartz4 aufgrund der 24-h-Pflege meiner Tochter Emma noch seitenlang ausführen!

Fazit: Egal wie sehr man sich bemüht, Beruf und Familie unter diesen besonderen Belastungen zu vereinbaren, es scheitert an Betreuungsstrukturen, verlässlicher und kompetenter Pflege- und Versorgungsmöglichkeiten und an einem Gesellschafts- und Sozialsystem, in dem behinderte Menschen und ihre pflegenden Familien nicht als vielfältiger Teil unserer Gesellschaft gesehen werden, sondern als Systemfehler !

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